Entwicklung der Wertesysteme

Die Entwicklung der Werte eines Menschen folgen offenbar einem Ablauf, den Graves beschrieben hat und später von Wilber und von Don Beck jeweils übernommen und angepasst wurde. Diese Entwicklung folgt zwar einem Ablauf, ist aber im Erleben und in der Aneignung nicht linear. Das ist wichtig, zu verstehen.

Die Nicht-Linearität der WertesystemeNach oben ↑

Wertesysteme entwickeln sich linear und nciht-linear zugleich. Der Ablauf könnte mit dem Wachstum von Jahresringen verglichen werden, nur dass das Bild hinkt: Wäre es analog, nicht hinkend, müsste der Baum weiterhin die Säfte durch alle Schichten seines Stammes aufsteigen lassen, was er ja nicht tut. Er nutzt nur die äusserste Schicht dazu. Die übrigen Schichten verleihen ihm Stabilität und Form.

Vorangehende Wertesysteme sind nicht tot wie innere Baumringe, sie übernehmen auch keine andere Funktion wie beim Baum die Statik oder Formgebung; durch sie fliesst weiterhin Leben: Sie bleiben aktiv, nur oft in einer anderen Form.1

Es verhält sich mit den Werten in unseren Wertesystemen mehr so wie mit der Zeit in unserer Wahrnehmung: Wir können problemlos in der Gegenwart sein mit unserer Wahrnehmung ("ich sitze auf einem Stuhl") und dabei an die Vergangenheit oder gar an die Zukunft denken. Beides geht zusammen, oder wir switchen hin und her. Wir können gedanklich sogar ganz in einer anderen Zeit aufgehen. Aber objektiv betrachtet, ist eine Zeitlinie (zumindest ohne Quantenphysik) beobachtbar und beschreibbar. Zuerst kommt die Explosion, dann der Zusammenbruch der Mauer. Es gibt Kasualzusammenhänge und damit ein vorher und ein nachher. Genau so frei sind wir in der Anwendung unserer Werte.

WerteverschiebungenNach oben ↑

Wir können Werte "weiter" entwickeln, wir verschieben sie dann in ein neues Wertesystem. Dadurch verändern sie sich: Z. B. den Wert des Lebens: Zuerst geht es "nur" ums Überleben. Später dann um ein angenehmes Leben, eines, mit viel Statussymbolen, ein Leben mit Sinn, ein Leben für etwas oder für andere usw. Letztlich, also zugrunde liegt weiterhin das Übeleben, aber das Überleben in einem neuen System von Werten.

Das gilt auch für andere Werte: Den Wert der Freundschaft z. B.: Was ist mir Freundschaft wert? Was erwarte ich von Freunden? Was bin ich bereit zu geben? Was bringt Freundschaft? Diese Fragen werden von jedem Wertesystem ander beantwortet oder manchmal nichht einmal gekannt oder abgelehnt.

Solche und ähnliche Fragen nach Sinn, Zweck und eben Wert kann man auch stellen zum Ego (Ich-Bewusstsein), zur Arbeit, zur Schönheit, zum Tod, zum Glauben, zu Gott oder unserem Bild von ihm.

Es ist nicht so, dass wir z. B. in familiären Fragen immer Werte aus demselben Wertesystem nutzen. Es kommt auf die Umstände an: Wer ist da, worum geht es, was steht auf dem Spiel?
Manchmal aktivieren wir frühere Werte bewusst und absichtlich, häufiger unbewusst oder gar als Reaktion auf gewisse Situationen - sozusagen aus Stress.

Drei Beispiele von Werteverschiebungen finden Sie hier bzw. im Kästchen.

Solche Werteverschiebungen kennen wir in unserem inneren wie und als gesellschaftliches Phänomen.

Wichtig ist zu verstehen, dass Werte dann angepasst werden (sollten), wenn sie uns im Leben behindern statt uns zu befreien. Wenn die Werte uns nicht mehr Sicherheit vermitteln, sondern uns einengen und uns im übertragen Sinn zu ersticken drohen. Dies natürlich nur sofern  Bewegungsfreiheit (auch im geistigen Sinn), Sicherheit und ein freies Atmen (auch im übertragenen Sinn) einen Wert für uns darstellen. 

Um ein Wertesystem für ein neues zu tauschen, muss das aktuelle Wertesystem diesen Grad des Überdrusses bzw. der Bedrohung erreicht haben. Erst dann hat man das Wertesystem mit all seinen Schätzen und mit all seinen Schwächen kennengelernt.

Und nochmals: Die Wertesysteme, die wir zurücklassen, bleiben aktiv in uns. Wir erabeiten uns die Werte des neuen Wertesystems auch nicht alle auf ein Mal, sondern nach und nach. Eben nach Bedraf oder Notwendigkeit.

Die ICH-WIR-PendelbewegungNach oben ↑

Interessant ist die Beobachtung von Graves und anderen, dass in den Wertesystemen, die einander ablösen, eine Pendelbewegung vom ICH zum WIR stattfindet.

Das heisst, es gibt Phasen in unserem Leben, da sind wir uns selbst mit unseren Werten am nächsten (Werte wie persönliches Wachstum, Ausdrucksfreiheit usw.). Es gibt andere Phasen, wo wir die Gemeinschaft (das WIR) suchen und deshalb Werte hochhalten, die der Gemeinschaft förderlich sind (das Teilen oder die Sozialkompetenz z. B.).

Das macht Sinn: Wenn man mit sich selbst beginnt, merkt man schnell, wie Beziehungen das eigene Leben bereichern und vorwärtsbringen können. Wenn aber die Beziehungen unsere Selbstentfaltung zu sehr behindern und wir nicht krank werden wollen daran, dann beginnen wir, unsere Selbstständigkeit wieder mehr in den Vordergrund zu rücken. So, dass wir das Leben auch ohne die Hilfe der anderen schaffen.

Irgendwann kommt aber wieder der Moment, wo wir merken, dass wir dennoch die anderen brauchen. Einfach nicht mehr in derselben Weise wie vorher. Zum Beispiel können wir uns die Nahrung nun selbst in den Mund schieben oder beschaffen. Aber der Mensch lebt ja nicht vom Brot (und Materiellem) alleine... wir wollen irgendwann doch wieder Beziehungen, die uns gut tun. Aber deswegen auf das zu verzichten, was wir uns im Alleingang erarbeitet haben, auf unsere gewonnene Unabhängigkeit (ganz) zu verzichten, das wollen wir in der Regel nicht. Zurück in Mutters Schoss, das fühlen wir instinktiv, mag zwar kurzfristig ein Problem lösen, aber es tut uns nicht gut.2

Geistlichkeit ist in allen Wertesystemen möglich!Nach oben ↑

Geistliche Tiefe ist nichts anderes als eine indivduell gespürte Verbundenheit mit Gott. Es ist das Gefühl "mit Gott zu gehen", von ihm geführt, getragen, getröstet, gestärkt zu sein. Dieses Gefühl erleben Sie, wenn es sich einstellt, in Ihrem aktuell leitenden Wertesystem, welches Fragen bewertet, die mit Gott, Glaube, Religion usw. zu tun hat. Es kann sich auf verschiedene Arten bei Ihnen zeigen. Als Gedanke/Erkenntnis, als Intuition, als Gefühl, als Vision oder Audition, ja sogar körperlich fühlbar. Gott lässt sich ganz individuell wahrnehmen. Jedem in seiner "Sprache".

Was diese Begegnung, dieses kurze, einmalige, andauernde oder wiederkehrende Erlebnis mit Gottes Kraft mit uns macht, das hängt sehr von unserer persönlichen Reife ab. Wenn Sie in Ihrem Leben, vielleicht auch schon im Kindesalter, etwas erlebt haben, was für Sie wertvoll ist, was Ihnen irgendwie zu sagen scheint, dass Gott bei Ihnen ist, dass Sie auf dem richtigen Weg sind - oder auf dem falschen, je nachdem - dann überlgen Sie: Wie hat es Ihr Leben beeinflusst? Haben sich gewisse Werte deswegen verändert?

Erleuchtung alleine macht keinen guten Menschen.Nach oben ↑

Der Begriff "Erleuchtung" (WAKING UP) wird für vieles verwendet. Hier meint es eine Begegnung mit Gott, die Ihnen in irgendeiner Weise die Augen geöffnet hat. Aber was haben Sie damit gemacht, mit dieser neuen Erkenntnis, mit diesem neuen Gefühl? Hat es geistliches Wachstum in Ihnen ausgelöst?

Geistliches Wachstum, also die Zunahme geistlicher Tiefe im Alltag, kann sich auf zweierlei Wegen zeigen, wie das Bild der Bergkette zeigt.

  • Vertikal
  • Horizontal

Vertikal, d. h. in die Tiefe des Berges (Bewegungsachse Himmel-Bergspitze- Berginneres-Erdengrund) innerhalb des religiösen Wertesystems, in dem man sich gerade befindet (CLEANING UP). Dies geschieht z. B. plötzlich oder durch die bewusste Übung von Achtsamkeit. Z. B. körperlich durch das bewusste Wahrnehmen der Erdanziehungskraft (Adam = Mensch, Erdling) oder geistig durch Übung in Liebesfähigkeit und Integrationsfähigkeit.

Horizontal, d. h. von Berg zu Berg wandernd, geschieht dies durch eine plötzliche, schnelle bis hin zu einer schleichenden Entwicklung durch die Wertesysteme vom ersten Rang hin zum dritten Rang indem man möglichst alle Kompetenzen auf diesem Weg weiterentwickelt (GROWING UP).

Wenn Menschen vor über 2000 Jahren die Liebe Gottes erleben durften, so mussten Sie die Kompetenz haben, das so niederzuschreiben oder zu diktieren, dass sie auch heute noch verstanden werden können. Nur so wird ihr Zeugnis für nachfolgende Generationen fruchtbar gemacht. Und heute braucht es wiederum Experten und Expertinnen, welche diese alten Schriften in die heutige Sprache und Kultur übersetzen können.

Gott lässt sich überall finden! "Sucht mich und ihr werdet mich finden", lässt er uns (allen) ausrichten. Seine Liebe ist jene integrierende Kraft, welche alle Menschen zu verbinden vermag.

Gott ist es, der uns die Kraft zu lieben schenkt. Ein geistlicher Weg, wenn nicht DER geistliche Weg, ist: Sich wie ein Gefäss auffüllen lassen von Gottes liebe und Lebenskraft und dann überquellend selbst zur Quelle für andere zu werden. Das heisst: Unser Ziel im Leben müsste sein, uns an diese Quelle wieder bewusst anzubinden. Daher das Wort "Bund".

Kirche und ein Leben mit GottNach oben ↑

So einfach dies klingt, so schwierig kann es sein, sich mit Gott zu verbinden. Warum, soll hier aber vor allem auch vermehrt in den Kirchgemeinden vor Ort gezeigt werden.

Die Kirchgemeinde sollte ihren Mitgliedern geistlich den Weg weisen können. Ihnen Workshops, Gottesdienste, Film- und Themenabende, Bibellektüre und Gesprächsrunden usw. anbieten, wo sie geistliches Wachstum erlernen und einüben können.

Es ist der Auftrag der Mitarbeitenden in den Kirchgemeinden, die Menschen geistlich zu leiten. Gemeint sind die gewählte Behörde und das Pfarramt sowie die beauftragten Diakone, Katechetinnen und Engagierte mit leitenden Funktionen.

Wie sollen die leitenden Menschen in den Kirchgemeinden diese Leitfunktion für Mensch und Gesellschaft übernehmen können, wenn sie selbst geistlich nicht vorangehen? Sollen Blinde ohne ausgebildeten Sinn für ihre Umwelt andere Blinde führen? Oder sollten Menschen, welche die Kirche leiten, nicht eher zuerst selbst geistlich wachsen? Und einander dabei helfen?

Kirche integralNach oben ↑

In der Kirchgemeinde, welche integral geleitet wird, fühlt sich jeder Mensch willkommen. Er merkt, dass seine Wertesystem nicht abgelehnt werden. Sie werden zwar angesprochen, vielleicht auch mal an ihre Grenzen gebracht. Aber er, als Mensch, wird immer eine herzliche wertschätzende Beziehung erleben mit allen anderen. Er wird darin wachsen, trotz unterschiedlicher Werte, dieselbe wohlwollende herzliche Haltung anderen gegenüber einzunehmen und sie entsprechend seinem Typ zu leben.


  1. Die Spiralstruktur von Integration und Transformation (Transzendierung) wird hier erläutert. 

  2. Das illustrieren verschiedene Mythologien wie z. B. Odysseus und Kirke (vgl. 'Zauberin'), Odysseus und Kalypso (die 'Versteckerin'), Herakles und Omphale (von 'Bauchnabel'). Der Held verliert bei diesen Frauen viel Lebenszeit. Sie halten die Helden davon ab, Helden zu sein für ihr Volk, indem sie sich den Gefahren des Lebens aussetzen. 

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