Kirche integral Reformierte Landeskirche neu denken

Der Boden unter der integralen Theologie

Die Anzahl theologischer Schriften, welche sich auf der integralen Philosophie abstützen ist noch klein, aber am wachsen. Eigentlich hat die integrale Denkbewegung im Bewusstsein der Öffentlichkeit erst einige Konzerne erreicht oder jene Menschen, welche ganzheitlichen Berufen nachgehen.
In der Kirche ist dieses Denken erst durch das Buch Gott 9.0 angestossen worden, das erste seiner Art.

Doch was ist diese Philosophie, die das Werkzeug geliefert hat?
Und welche Fallen muss man vermeiden?

Ken WilberNach oben ↑

"Kenneth "Ken" Earl Wilber Jr. (* 31. Januar 1949 in Oklahoma City) ist ein US-amerikanischer Autor im Bereich der Integralen Theorie, der vor allem über Psychologie, Philosophie, Mystik und Spirituelle Evolution schreibt. Im Jahr 1998 gründete er das Integral Institute. Er lebt und arbeitet in Denver. Seine integrale Philosophie orientiert sich an fernöstlichen Weisheitstraditionen des Nicht-Dualismus und soll diese weiterentwickeln.

Wilber beruft sich auf die Lehren von Plotin, Meister Eckhart, Sri Aurobindo, des deutschen Idealismus, des Advaita Vedanta Hinduismus, des tibetischen Buddhismus, Jean Gebser, Jürgen Habermas, Jean Piaget, Lawrence Kohlberg, Arthur Koestler, Teilhard de Chardin, Alfred North Whitehead, Clare W. Graves, Rupert Sheldrake, Jiddu Krishnamurti und vieler anderer. Er will die Stärken und Schwächen verschiedener weltanschaulicher und philosophischer Richtungen aufzeigen und einen theoretischen Rahmen entwickeln, in dem verschiedene Traditionen Platz haben. Deshalb trägt diese Denkrichtung die Bezeichnung „Integrale Theorie“.

Als Hauptwerk Wilbers galt lange Zeit das 1995 erschienene Eros Kosmos Logos (Originaltitel: Sex, Ecology, Spirituality). Darin befasst er sich im ersten Teil mit Systemtheorien, im zweiten mit Philosophiegeschichte unter Bezug auf andere Wissenschaftszweige wie Physik, Biologie, Soziologie oder Psychologie. Zusätzlich fliessen religiöse Gedanken und Elemente der Naturphilosophie in Wilbers Denken ein. Er behauptet, miteinander konkurrierende Denkschulen und Wissenschaftsdisziplinen in einer philosophischen „Theorie von allem“ (Theory of Everything) zu vereinen.

In Integrale Spiritualität (2007) postuliert er die Notwendigkeit der Integration von Spiritualität in der Moderne und Postmoderne, zugleich die Entwicklungsmöglichkeiten von in der Vormoderne fixierter Religion, die diese Integration ermöglichen könnten. Hierfür beruft er sich auf Theologen wie Hans Küng, Raimon Panikkar, John Shelby Spong, Stanley Grenz und Kevin J. Vanhoozer. Wilbers rund 20 Bücher wurden bisher in 30 Sprachen veröffentlicht." (Quelle: Wikipedia.de)

Die vier grossen "UP"sNach oben ↑

Auf Youtube ist ein fast drei Stunden dauerndes Interview mit ihm zu sehen, welches Rick Archer führt. Das Format heisst witzigerweise Buddha at the Gas Pump. Im Interview erklärt Wilber in den zehn Minuten ab der Zeit 1:31:00 Essentielles:

Bisher kannte man in den Religion das WAKING UP, das Aufwachen. Wo man eins ist mit Gott. Das ist ein Zustand, den man entweder einfach geschenkt bekommt, der sich ereignet. Oder man übt eine rituelle Praxis so lange ein, bis Gott sich nicht nur offenbart, sondern das Gefühl der Verschmelzung von "ICH" und "Allem" erlebt wird. Damals wie heute gibt es Zeugnisse solcher Erlebnisse der All-Ein-Heit. Aber das Einüben und Suchen und Erleben dieser Einheit mit Gott hat weder die Sklaverei, noch Rassismus noch Sexismus zum Verschwinden gebracht. In keiner Religion.

Durch die Psychologen wie Freud, Adler und Jung gelang im 19. und besonders im 20. Jh. die Erkenntnis des Unbewussten und des Unterbewussten und derer Macht über uns unter die Menschen. Es entwickelte sich das, was wir heute Schattenarbeit nennen. Etwas, das schon Jesus uns lehrte. Projektionen zurücknehmen, sich der eigenen verborgenen Seite zuzuwenden und sie zu integrieren, ... Dies ist bei Wilber das CLEANING UP, das Aufräumen und Reinigen des Selbstbildes, der Psyche, des eigenen Denkens und Fühlens. In der Systematischen Theologie beispielsweise ist das Bewusste Reflektieren unserer Verstehensprozesse, die Hermeneutik, ein Beispiel für CLEANING UP bei der Auslegung der Bibel.

Im 20. Jahrhundert entwickelten sich vermehrt Methoden und Lehren, welche die Stadien einer jeweiligen Entwicklungen beschrieben. Zum Beispiel den Trauerprozess. Sie bauten z. B. auf biologischen (ES), psychologischen (ICH) oder soziologischen (WIR) Erkenntnissen auf und nutzten die Methoden dieser Wissenschaften: Die Entwicklung des Körpers, der Menschheit, einer Kultur, einer Religion, eines Gehirns, eines Kindes, einer Sprache, des Kosmos,... all dies konnte nun mit Meilensteinen beschrieben werden, mit Abläufen, mit Entwicklungslinien. Mit diesen neuen Werkzeugen wurden die antiken Typologien ergänzt oder verdrängt, die medizinischer Natur waren oder die den Charakter oder gar das spirituelle Wachstum eines bstimmten Menschentyps betrafen. Das Abarbeiten möglichst vieler Stufen möglichst vieler Kompetenzen, dies versteht Wilber unter GROWING UP, das Aufwachsen. Die Entwicklung durch die Wertesysteme z. B. ist GROWING UP. Das geistliche Vertiefen der Gottesbeziehung innerhalb eines Wertesystems ist ebenfalls GROWING UP.

Bisher wurden CLEANING UP, WAKING UP und GROWING UP vor allem separat untersucht, gelehrt oder umgesetzt. Dass es alle drei braucht, um nicht neue Probleme zu generieren, sondern wirklich Fortschritt zu erzielen, sei erst seit etwa zehn Jahren ins Bewusstsein gedrungen, sagt Wilber. Noch gebe es grosse Gruppen von Menschen, welche nur auf das Eine setzen würden. Ohne zu wissen, dass ihnen zwei wichtige Komponenten fehlen, damit das Ihrige gute Früchte tragen kann. Die integrale Theorie aber ist sich dessen bewusst und fragmentiert nicht, was zusammen gehört, sondern integriert eben alle drei Bewegungen: CLEANING UP, WAKING UP und GROWING UP.

Zuletzt kommt noch das SHOWING UP: Zeig, wer Du bist, was Du kannst, was Du gelernt hast, wie Du Dich einbringen kannst. Dies ist der Schritt vom GELBEN zum TÜRKISEN Wertesystem. Wir bringen uns ein in die Welt, nachdem wir all diese Arbeit an uns erledigt haben und es satt sind, alleine damit unterwegs zu sein. Wir vernetzen uns weltweit und bringen uns ein zum Wohl der Menschheit und des Planeten.

Wilber und die Chancen der christlichen KirchenNach oben ↑

Würden die Religionen dieses Dreierpaket unter die Menschen bringen, dann würden die Menschen erfreut zuhören und wieder in die Kirchen kommen - oder zu den Versammlungsorten jener Religion, die das erkennt und umsetzt. Wenn die Kirchen darum wüssten, welche Freiheit, das WAKING UP, welche Reinheit (vor Gott) das CLEANING UP und welche Fülle und Erfüllung das GROWING UP schenken, wenn man sie miteinander betreibt, dann würde sie wieder erblühen.

Hatte nicht Jesus vorgemacht wie das geht? War er nicht gerade deshalb so einflussreich? Er, der Taufe den Heiligen Geist empfangen hatte¹ (WAKING UP), der nach seiner Prüfung in der Wüste vor Gott rein war (CLEANING UP) und der in seinen Fähigkeiten der biblischen Auslegung, der Heilung vor Geistern, Krankheiten usw. und in der Fähigkeit zu lieben von Kind an gewachsen ist und durch Gottes Geist, den er beim WAKING UP erhalten hatte, weise wurde (GROWING UP)?

Wir könnten die Trinität Gottes verbinden mit diesen drei UP's, welche uns zu gottgefälligeren Menschen machen würden. Nicht dass uns Gott nicht lieben würde, wenn wir weniger gottgefällig sind, denn wir wissen als Refromierte, die Taten allein können uns seine Gunst nicht erkaufen. Er liebt uns aus freier Gnade. So, wie wir sind. Aber es war schon Jesus ein Anliegen, die Menschen zu befreien, die Geschichte Gottes mit seinem Volk enthält viele Befreiungsgeschichten! Und Freiheit kann er uns einfach so schenken, oder wir haben durch Jesus unter anderen, Wege erhalten, uns zu befreien.

So stünde eine innige Begegenung mit Gott, Schöpfer und Vater (oder Mutter oder Eltern) für das WAKING UP. Von Jesus liesse sich die Fähigkeit zu lieben, zu integrieren lernen, also das CLEANING UP. Und der Heilige Geist wäre jene Kraft, die uns im Prozess des GROWING UP begleiten würde, indem er uns immer mehr Weisheit auf allen möglichen Gebieten schenken würde. Dann würde sich die Kirche durch ihr SHOWING UP (s. die Vision von Kirche integral) sichtbar in den Dienst der Welt, also der Menschheit und der Schöpfung stellen.

Ken Wilbers integrale PhilosophieNach oben ↑

Die integrale Philosophie von Ken Wilber heisst deshalb "integral", weil sie alles zu berücksichtigen versucht, was wir heute wissen können. Beziehungsweise wird jeder Aspekt unserer Entwicklung, unserer Sichtweise, unserer Werte usw. berücksichtigt, die Wilber letztlich auf fünf Arten systematisiert, beschreibt und als Werkzeuge benutzt hat:

• alle Quadranten (vier)
• alle Ebenen (Wertesysteme, mehr als neun)
• alle Linien (mit je verschiedenen Entwicklungsstufen)
• alle Zustände (vier)
• alle Typen (es gibt verschiedene Typologien)

Alle fünf Punkte werden von Wilber zu einem System zusammengefügt, die AQAL-Matrix genannt, welche einen Gesamtüberblick zu geben vermag.[^aqual] AQAL steht für "all quadrants all levels" - alle Quadranten, alle Ebenen.
Die Auseinandersetzung mit den einzelnen oben genannten Punkten ist keine rein kognitive Leistung. Es genügt also nicht, die Theorien zu den möglichen Entwicklungen, Quadranten, Zuständen usw. zu lesen und zu kennen. Die Inhalte, die Theorien müssen oft am eigenen Leibe durchlebt und reflektiert oder geübt werden. Erst dann sind sie gelernt, gespeichert und nutzbar wenn man sie auf verschiedenen Ebenen der Wahrnehmung integriert hat.

Drei mögliche FallenNach oben ↑

Die erste Falle besteht darin, dass man z. B. ein psychologisches oder spirituelles Buch liest und dann beginnt, weniger sich als vor allem seine Umwelt in Schubladen zu stecken.

Die zweite Falle ist die eigene Blindheit nicht zu erkennen: Also das Buch selektiv zu lesen, d.h. alles auszublenden, was einem nicht passt.

Beides ist kein reifer Umgang mit einem wertvollen Wissen.

Die dritte Falle wäre, den Verstand auszuschalten: Gesunde Skepsis, die Prüfung von Quellen, das Einschalten des gesunden Menschenverstandes bleiben notwendig, um den Geist hinter einem Buch zu beurteilen. Aber wenn man sich einmal darauf eingelassen hat, sollte man sich seinen Herausforderungen auch stellen.

Ein oberflächlicher Umgang ist auch mit der Bibel möglich. Menschen massen sich z. B. an, die Intensität des Glaubens anderer zu beurteilen und zu verurteilen. Würden sie die Bibel ernst nehmen, könnten sie das nicht. Weil sie den Balken im eigenen Auge sehen würden.